Mittwoch, 25. Juni 2014

WM: Ghana - Deutschland



Aufgrund von Internet-Problemen hat es leider 3 volle Tage gedauert, bis dieser Bericht hochgeladen werden konnte - sorry! Und bis die Bilder kommen, ist die WM vielleicht schon vorbei...

Schland gegen Black Stars

Zwei Welten prallen aufeinander und ich wusste nicht so richtig für wen ich sein sollte: das war mir schon Sekunden nach der Auslosung klar, die ich nach der harten Qualifikation Ghanas live gesehen habe. Um die bittere Niederlage Ghanas gegen die USA hingegen sehen zu können, musste ich wegen Stromausfalls mit meinem Freund Baba zu dessen Krankenpflegerkollegen ans Krankenhaus. Dort gibt es einen Generator, der das Fußballschauen in Kombination mit dem Bezahlfernsehen sehr angenehm macht. Hier bei uns zuhause läuft - wenn der Strom da ist - wackeliges terrestrisches Fernsehen, denn irgendeine Rechtsangelegenheit erlaubt es den Ghanaern nicht, die Weltmeisterschaft über qualitativ viel besseres Satellitenfernsehen zu sehen. Fußball schauen ist immer sehr spannend - und das nicht nur wegen der vielen Tore, sondern auch wegen der technischen Überraschungen.

Die Waisenkinder bekamen kürzlich zwei einfache robuste Holztische von einem Amerikaner gespendet. Als wir sie fragten, in welcher Farbe wir sie anstreichen sollten, kam natürlich die Antwort  "Ghana colours".  Der Nationalstolz der Leute auch außerhalb der WM ist für uns manchmal ein bisschen komisch, denn wir sind aus Deutschland anderes gewohnt. Seis drum! - die Tische in den ghanaischen Nationalfarben wurden pünktlich zur WM fertig gestrichen. Ansonsten jedoch ist - anders als vermutet - hier sehr wenig WM-Stimmung zu spüren. Wer jedoch zuschaut, unterstützt die Ghanaische Nationalmannschaft leidenschaftlich. Ich habe jedoch das Gefühl, dass nur eine Minderheit die Möglichkeit dazu hat.

Nach der Niederlage gegen die USA stand Ghana jedenfalls schon mit dem Rücken zur Wand und musste gegen die übermächtig wirkenden Deutschen einfach punkten. Im Ort sprachen mich viele Leute auf das Spiel an, und mussten selbst lachen, wenn sie ankündigten, dass Ghana gewinnen würde. Das Selbstbewusstsein war nun - nach der Niederlage - überschaubar. 

Wir schauten das Spiel zusammen mit unserer Familie und einigen hinzugekommenen fernsehlosen Freunden in einem relativ kleinen Kreis zunächst an unserem provisorisch aufgestelltem Fernseher. Nach der mehr oder weniger uninteressanten ersten Hälfte wechselten wir in das alte Wohnzimmer der Gastfamilie, wo wir uns besseren Empfang erhofften, aber enttäuscht wurden. Zum Spiel an sich will ich nicht viel sagen, nur dass ich den ghanaischen Führungstreffer nicht richtig sehen konnte, weil nach einem einminütigen Stromausfall auch die Antenne des Fernsehbetreibers wieder hochgefahren werden musste. Als das Bild zurückkehrte und nun Gewissheit darüber herrschte, dass Ghana auf dem Weg zu einem kleinen Wunder war, herrschte natürlich eine ausgelassene Jubelstimmung. Leider nicht sehr lange…

Die Leute waren im Gegensatz zu Löw auch mit dem Unentschieden noch relativ zufrieden. Viele Tore und ein schönes umkämpftes spannendes Spiel - so hatte ich es mir gewünscht. Und das Unentschieden war für mich ganz ok, denn bis heute weiß ich nicht so genau, welche Mannschaft ich mehr unterstützen sollte. 

Im Falle eines Sieges der Portugiesen heute Nacht (24Uhr deutscher Zeit) hat auch Ghana noch gute Chancen auf ein Weiterkommen. Und falls Ghana ausscheiden sollte, unterstützen die Leute eben eine andere afrikanische Mannschaft. Es bleibt spannend.

Montag, 19. Mai 2014

Spannendes Reisen

Wenn die Schule drei Mal im Jahr Ferien macht, oder dort sonst aus verschiedenen Gründen nicht viel los ist, kann ich die Möglichkeit ergreifen und mir das Land ansehen. Gerne wäre ich natürlich auch mal in das von Nalerigu aus nahe gelegene Ausland nach Togo, Benin oder Burkina Faso gereist, doch mein Visum lässt derartige Ausflüge leider nicht zu. So reise ich kreuz und quer durch Ghana, und bestaune die großen Unterschiede was das Leben, die Landschaft oder die Preise innerhalb dieses Landes angeht.

Verkehrsmittel Nummer eins ist der Bus. Fliegen ist unverhältnismäßig viel teurer, selbst fahren lässt die ghanaische Polizei, die alle paar Kilometer eine Straßensperre errichtet hat, nicht zu. Busfahren ist in Ghana wegen der günstigen Reisepreise sehr weit verbreitet, so dass laufend vollbesetzte Fernbusse von den Stationen abgehen. Die „Station“ (englisch ausgesprochen) ist gleich neben dem Markt und dem Palast das Zentrum der kleineren Städtchen wie Nalerigu, hier werden die angelieferten Güter be-, ent- und umgeladen oder teilweise auch gleich verkauft. In Nalerigu stehen an der Station immer mindestens zehn Kleinbusse bereit. Die meisten davon sind alte Benz-Busse.

Ein Bus fährt immer nur dann ab, wenn er voll besetzt ist, ganz voll besetzt: inklusive Mittelgang (eingebaute Metallsitze), manche auf dem Schoß, auf dem Dach und Boden. Die Fahrt von Nalerigu - meistens direkt nach Tamale - macht mir vor allem deshalb keinen Spaß, weil ich nicht gerade der Kleinste bin und ich meine Beine dann vier Stunden lang oft nur im Millimeterbereich bewegen kann. Kurz vor der Abfahrt lässt der Fahrer den Motor warmlaufen, schon einige Male hat dabei die Batterie gestreikt, so dass der Bus angeschoben werden musste. Einmal kam es auch schon vor, dass die gesamte Busbesatzung zu einem kleinen Fußmarsch gezwungen wurde, weil weder der erste Gang noch die Batterie funktionierten, und der Wagen - in diesem Fall ein kleinerer Toyota - aber angehalten hatte. Der Motor der Maschinen hört sich an wie eine Mischung aus Traktor und Lastwagen und hat wegen der schweren Ladung selbst an den geringen Erhebungen der Landschaft Mühe, die kleinen Anhöhen zu bezwingen. Geht es dann aber wieder bergab, scheuen sich die meisten Fahrer nicht, mit der schnellstmöglichen Geschwindigkeit loszudüsen. Nur Schade, dass wenige Kilometer hinter Nalerigu die asphaltierte Straße zu Ende geht, und der Fahrer durch große Schlaglöcher, die teilweise eher als Gräben oder sogar Bäche zu bezeichnen sind, zum Langsam-fahren gezwungen wird. Wie an fast jeder ghanaischen Straße ist alle paar Kilometer am Straßenrand ein verunglücktes, umgestürztes oder ausgebranntes Fahrzeug zu sehen.

Dennnoch: die verlockenden Möglichkeiten, die sich durch die Busse auftun, sprechen für sich, vier Stunden Fahrt kosten gerade einmal drei Euro, und nach zwei Stunden Fahrt wird dann auch die Straße deutlich besser, so dass man relativ zügig vorwärts kommt. So habe ich vor kurzem in nur zwei Tagen mit meinem Mitfreiwilligen Thomas beinahe den südlichsten Punkt Ghanas erreicht. Uns trennte nach der Besichtigung einer Goldminen-Stadt nur noch ein zwanzig Kilometer langer Waldweg von unserem Reiseziel. Doch leider neigte sich auch die Sonne am Himmel, so dass wir uns entschlossen, bis Princes Town ein Taxi zu nehmen. Der erste Fahrer, den wir fragten, schlug einen Preis vor, der uns sehr teuer vorkam. Deswegen fragten wir einen anderen, der uns für etwas mehr als die Hälfte zu unserem Ziel bringen wollte. So ignorierten wir die Warnungen des teureren Taxifahrers und stiegen in das billigere Taxi. Im Abendrot schienen wir durch Kokosplantagen auf der Sandstraße immer mehr in den Dschungel zu geraten, jedenfalls war die Geräuschkulisse der Tiere sehr eindrücklich.

Zu unserem Erstaunen zeigte der Taxifahrer auf einem am Innenspiegel befestigten kleinen Bildschirm einen Jungle-Geister-Horrorfilm. Weil die Sonne jetzt komplett hinter dem Horizont aus Kokospalmen verschwunden war, fürchteten wir ein wenig, ob wir wohl die Burg, in der sich die einzige Herberge des kleinen Zielortes Princes Town befand, in der Dunkelheit noch finden könnten. Dann versagte plötzlich mitten im Dschungel in der Nacht der Motor des Taxis. Wir versuchten, die nun an den Film im Taxi erinnernde Situation locker zu nehmen, und ich half dem Fahrer, der kaum Englisch verstand, in der Dunkelheit die Motorhaube zu öffnen: kein Kühlerwasser mehr! Aus dem Dunkel tauchten einige Kinder auf, die versuchten, dem noch immer sehr gelassenen Fahrer bei der Reparatur zu helfen. Und tatsächlich, nach einiger Zeit sprang der Wagen wieder an. Wie das zuging weiß ich bis heute nicht, jedenfalls lief nach einigen Minuten auch der Horrorfilm am Innenspiegel des Taxis weiter. Der Fahrer brachte uns sicher nach Princes Town und erkundigte sich dort nach der Herberge. Die Leute zeigten auf einen Waldtrampelpfad, von dem ich zuerst nicht gedacht hätte, dass ein Auto dort fahren könnte. Wir gelangten ... ins Nichts. Ein kleines, verlassenes Haus im Wald sollte unsere Herberge sein. Es war das falsche Haus - wie wir später erfuhren, die Ferienanlage von Engländern. Wieder kam ein Mann des Weges, der zwar kein Englisch verstand, sich mit dem Fahrer aber in der lokalen afrikanischen Sprache verständigen konnte. Er bewegte den Fahrer zur Umkehr.

Und als wir die Stadt erreichten, trafen wir zu unserem Glück sofort auf Tourguide Alex, der sogar ein bisschen Deutsch sprach, uns stracks zur Burg führte und uns gleich ein wunderschönes Zimmer gab. Am Ende gingen wir nach einer kurzen Verschnaufpause mit ihm sogar noch im Ort in eine Bar, um dort die zweite Halbzeit des Championsleague-Spieles Bayern gegen Real anzuschauen. Aber erst als am nächsten Morgen die Sonne wieder aufging, sahen wir, wo wir gelandet waren. Schon in der Nacht hatten wir aus unserem Zimmer das laute Rauschen des Meeres gehört, doch nun eröffnete sich uns ein traumhafter Blick über den Ort, den Kokoswald und die ganze Küste entlang. Wir saßen plötzlich auf dem einzigen, von Preußen und Brandenburgern errichteten Fort in Westafrika, duschten uns mit dem Wasser aus der Zisterne und bestaunten die mit Ausnahme des Eingangs noch relativ gut erhalten gebliebene Burg. Als der zweite Guide Mathew uns ein bisschen herumführte, kam doch auch ein leicht mulmiges Gefühl auf, die Burg wurde auch zum Handel von Sklaven benutzt, der Kerker ist bis heute erhalten. Die koloniale Vorgeschichte der Burg war mir zuvor nicht präsent gewesen.

Und es sollte mich dort noch ein weiteres Abenteuer erwarten. Denn eines Nachts zog ein heftiges Unwetter auf, das ich allein im edlen Zimmer des Offiziers zu spüren bekam. Keine große Sache, dachte ich mir zuanfangs, hatte dabei allerdings nicht mitbedacht, dass das Dach nicht wie der Rest der Burg aus meterdicken Mauern bestand, sondern stattdessen gar einige Löcher hatte. Außerdem peitschte der nun heftige Seewind das Wasser sogar durch die Fenster, sodass sich im Turm recht schnell zuerst eine Pfütze, und dann ein kleiner ca. ein Meter breiter Bach bildete. Zum Glück gab es einen breiten Spalt unter der Türe, so dass das Wasser gut abfloss. Doch nichts desto trotz musste ich aufstehen und meine Sachen in Sicherheit bringen. Licht an - geht nicht, Stromausfall - also Taschenlampe. Einige Eidechsen und Spinnen hatten sich aus dem Regen in den Turm geflüchtet. Schnell brachte ich mein Gepäck an die noch trocken gebliebenen Stellen im Turm, konnte aber nicht verhindern, dass mein Laptop etwas Wasser abbekam. Gleichzeitig machte ich mir Sorgen, weil ein heftiges Gewitter über  der auf einer kleinen Anhöhe gebauten Burg relativ nah zu sein schien, so dass der Blitz in den Turm einzuschlagen drohte. Also flüchtete ich mich durch den Bach in das zweite erhaltene Gebäude, in dem früher die Soldaten untergebracht waren, und das deswegen nicht so stark erhöht war. Vielleicht glaubt ihr, liebe Leser, dass diese Vorsichtsmaßnahme übertrieben war. Doch ganz im Gegenteil: kurz darauf konnte ich zuschauen, wie ein Blitz auf der Anhöhe einschlug.

An dieser Stelle möchte ich mich bei den ghanaischen Mobilfunkanbietern bedanken: nicht nur für die Möglichkeit, einen Blog zu schreiben, sondern auch dafür, dass sie einen großen Antennenmast auf jener Anhöhe gebaut hatten. Dort schlug 30 m von mir entfernt der Blitz ein. Mein Laptop hat am nächsten Tag wieder funktioniert, so dass ich den traumhaften Ausblick genießend an diesem Bericht schreiben konnte…

Es gäbe noch viele weitere Urlaubserlebnisse zu beschreiben, besonders auch von der Rückreise. Macht euch bitte trotzdem keine Sorgen. Ghana kommt uns nur gefährlich vor, weil es so fremd ist.


Donnerstag, 15. Mai 2014

Musik und Tanz



Die Begeisterung, Freude und Freiheit, mit der die meisten Leute hier leben, zeigt sich besonders in der Musik, zu der immer getanzt wird. Dieser Teil der Kultur war für mich schon vor meiner Ankunft präsent, es gibt in Europa ein weit verbreitetes Bild von Afrikanern, die zu ihren traditionellen Holztrommeln im Kreis herumhopsen. Das war hier wohl früher verbreitet, und die Afrikaner bezeichnen das noch immer als ihre Kultur.

Seit ich hier bin, habe ich aber ein ganz anderes Bild von afrikanischem Tanz. Die Musik scheint sich in den letzten Jahren mit dem weit verbreiteten Gebrauch von Keyboard, Schlagzeug, E-Gitarre und Mikrofon stark modernisiert zu haben. Die ganz einfachen Trommeln basteln sich die Kinder nicht mehr aus Holz, sondern aus alten Fahrradschläuchen und alten Reissäcken oder Blechdosen. In den Kirchen spielt die Musik meistens die zentrale Rolle im Gottesdienst. Nicht wie bei uns jahrhundertealte Lieder, nein ganz moderne elektronisch unterstützte, rhythmische Lieder laden die Gemeinde während dem Gottesdienst zum Tanzen ein. Freude und Begeisterung bricht aus, die Leute singen so laut sie können mit, außer mir versteckt sich keiner.

Schon von klein auf bewegen sich die Kinder gerne zur Musik. Mein zweijähriger Gastbruder erntet regelmäßig Applaus, wenn er seine ersten Versuche macht, sich zur Stereoanlage in unserem Wohnzimmer zu bewegen. Seine große Schwester tanzt völlig freiwillig mit großer Freude alleine vor der ganzen Kirchengemeinde zu ihrem Lieblingslied „You too the bless me“. Wenn der Kindersender „4kids“ in unserem Wohnzimmer einmal in der Woche eine unprofessionell erscheinende in Afrika gefilmte Veranstaltung zeigt, sieht man dort oft schon kleine Kinder einen vorher einstudierten Tanz aufführen. Das Kamerateam zeigte neulich sogar die mit Schlagstöcken bewaffneten Lehrer, die bei so einer hoch offiziellen Veranstaltung wohl dafür sorgen sollten, dass keiner aus der Reihe tanzt.

Zurück nach Nalerigu: Tanzgelegenheiten finden sich hier zuhauf. Neben dem normalen Gottesdienst gibt es zahlreiche groß gefeierte Beerdigungen - ich würde sie eher als Lebensfeiern bezeichnen. Und natürlich der Tanz bei den Hochzeiten! Aber auch sonst gibt es viele Möglichkeiten zu tanzen. Zum Beispiel vor einem der vielen CD-Läden, die durch riesige Lautsprecher auf der Straße versuchen Kunden anzulocken, und durch die laute Musik jegliche andere Straßenmusik übertönen.

Ab und zu nehmen wir Tanz auch mit unseren „Waisenkindern“ ins Programm, und sie nehmen das auf wie eine Belohnung. Am Unabhängigkeitstag strömten die Leute in den nahen Nachbarort Gambaga um dort zuerst den Schülern der vielen verschiedenen Schulen beim streng in Dreierreihen geordneten militärischen Marschieren zuzusehen. Nachdem die Schüler dann in der heißen Sonne stillstanden, ihre Preise an sich genommen und die Rede des Abgeordneten über sich ergehen lassen hatten (ich hatte nicht den Eindruck, dass die Leute zugehört haben), wurde endlich groß zusammen getanzt.

Der letzte Schultag vor den Ferien, an dem auch immer die Zeugnisse verteilt werden, gehört den Schülern und wird "our day" genannt: und was könnten die Schüler lieber tun als Tanzen? Kurz vor den Osterferien hatten  die ersten leichten Regenfälle eingesetzt; das war allerdings schon zu viel für einen Gebäudeteil der Schule: er brach in sich zusammen, zum Glück ohne dass sich jemand verletzt hat. Weil sich im anderen Teil des Gebäudes das einzige mit Strom versorgte Klassenzimmer befindet, wurde es kurzerhand in eine kleine Diskothek verwandelt: aus alten Heften   hatten die Schüler Girlanden gebastelt, das Zimmer damit verziert und mit einer Stereoanlage ausgestattet. Noch Meter vor der Tür und den Fenstern (ohne Scheiben!) standen die hineindrängenden Schüler, jeder wollte hier tanzen und sich von den anderen bewundern lassen. Doch auch die Unglücklichen, die sich nicht hineindrängeln konnten, fanden Wege und Mittel zu einem Tanz zu kommen. Ein kleiner batteriebetriebener Lautsprecher, durch einen USB-Stick mit Musik versorgt, fand sich in dem Klassenzimmer, in dem ich sonst immer unterrichte. Die für die Schüler viel zu kleinen Holzschulbänke wurden zur Seite gerückt, so dass in der Mitte eine Tanzfläche entstand, und die nicht-tanzenden Schüler außen herum saßen und gemütlich ihr "our-day-fanta" zu ihren "our-day-biscuits" schlürften. Die Schüler bekamen dann ihre Zeugnisse und wurden anschließend mit dem täglichen Abschlussspruch "We close in the name of the father, the son and the holy spirit" in ihre Osterferien entlassen.

Auch Feiertage werden oft für Tänze für jedermann verwendet. Junge Ghanaer - vor allem in größeren Städten und in Südghana - wurden in den vergangenen Jahren von der europäisch-amerikanischen Kultur beeinflusst und strömen jetzt in Bars und Kneipen um dort zu tanzen. Hier entwickelt sich durch die Tänze Azonto und seit neuestem auch Alingo und Al Quaeda (http://www.leglobaliste.com/2013/06/20/can-you-dancethe-al-qaeda/) eine starke Tanzkultur. Ihr habt richtig gelesen: einer der neuesten Tänze hat wirklich den provokanten Namen der berühmten Terrorgruppe. Während es dieser Tanzstil wohl nie in unsere deutschen Clubs und Bars schaffen , ist Azonto weltberühmt und mit ihm auch einige ghanaische Künstler wie “Akon”.

Traditionalisten und konservative Christen und Muslime, die besonders hier im Norden stark sind, lehnen diesen neuen Trend meist ab. Sie setzten lieber weiter auf die flotten rhythmischen modernen Gospels. Häufig auch in der Lokalsprache Mampuli, stets aber mit Schlagzeug und Mikrofon - und sehr laut. Unser “Sommerhit” ist - weil das ganze Jahr Sommer ist - einfach das ganze Jahr überall zu hören. Seit ich hier bin ist das eindeutig “Personally” von P-Square.

Montag, 17. Februar 2014

HAPPY BIRTHDAY!

Selten habe ich meine deutschen Bekannten, Freunde und Verwandten so vermisst wie an meinem Geburtstag. Vielen Dank für alle lieben Glückwünsche!

 Gefeiert wurde trotzdem!
Gastmutter Baby hat eine Torte gebacken.

Montag, 3. Februar 2014

Markt



Das ghanaische Leben pulsiert nicht im Rhythmus der Woche, es richtet sich vor allem danach, ob es sich um einen Markttag handelt oder nicht. Denn das Zentrum des Lebens in jeder ghanaischen Stadt ist der Markt. Es ist ein großes Fest des freien Handels und gleichzeitig ein Ort der die Menschen zusammenführt.
Markttag in Nalerigu
Das Einkaufen steht dabei zumindest für mich meistens nicht im Vordergrund. Die atemberaubende Kulisse mit den Händlern, Handwerkern und Marktbesuchern, die sich langsam durch die überall zu engen Marktgassen quetschen und sich dabei stets freundlich und elegant mit dem markteigenen Gruß im Mund zulächeln, die Handelsszenen und die Begeisterung der Leute machen den Markt zu einem einzigartigen Schauspiel, das sicherlich ein wichtiger Teil der heutigen ghanaischen Kultur ist.
...ein Fest der Begegnungen
Alle drei Tage abwechselnd mit den Nachbarorten Gambaga und Sakogu findet in Nalerigu ein Markt statt. Alle Händler der Region, Bauern der umliegenden Dörfer, die Fischerfrauen vom Weißen Volta, Brennholzsammler, Schuster und viele viele mehr treffen sich auf einem mit einfachsten Holzunterständen ausgestatteten Platz, um den sich die Ortschaft fast kreisförmig ausdehnt. Gehandelt wird alles, was man hier zum Leben braucht: vom Nagel,  einem Kohlebügeleisen oder Buch, über Stoffe und Kleidung, und natürlich - ganz wichtig -  Nahrungsmittel reicht das Angebot, bis hin zu Motorradersatzteilen, Handy-Akkus und Leopardenfellen. Wann immer man etwas Ausgefallenes und nicht ganz Alltägliches braucht, muss man auf den nächsten Markttag warten.
Neben dem Markt besteht noch die Möglichkeit in einem der vielen kleinen Läden einzukaufen. Sehr viele Leute haben sich selbständig gemacht. Das Angebot in den Läden ist aber trotzdem nicht besonders vielfältig, fast überall wird das gleiche verkauft. Der Markt ist deshalb sehr wichtig für die Leute und fällt auch dann nicht aus, wenn er wie dieses Jahr auf den Weihnachtstag, also den 25. Dezember fällt. Lieber werden andere im Vergleich zum Markt unwichtig erscheinende Dinge wie Meetings aller Art (oder auch das Fußballtraining) auf die Tage gelegt, an denen kein Markt stattfindet. Dann ist oft fast der ganze Marktplatz wie ausgestorben. Und die trockenen grauen eingegrabenen Baumstämme, die das Gerüst für die mit Stroh oder Wellblech gedeckten Marktstände bilden, ragen in eine fast unheimliche Stille.
in Kumasi: die halbe Stadt ist der Markt
Niemals still ist es auf einem Markt in einer der Großstädte: in Tamale ist selbstverständlich jeder Tag Markttag. Ungeheuer groß, schweißtreibend und absolut nicht zu bewältigen, geschweige denn zu überblicken, ist der Markt in Kumasi. Seine ganzen unvorstellbaren Dimensionen konnte ich nicht wirklich erfassen, als ich mich kürzlich gemeinsam mit meinem Vater im angeblich größten Markt Afrikas für mehrere Stunden verirrt habe. Hier hat das Angebot überhaupt keine Grenzen mehr. Weil der Markt weit weit über den in unserer  Karte eingezeichneten Innenstadtbereich Kumasis hinausreichte, mussten wir uns schließlich von netten einheimischen Händlern befreien
Händler, so weit das Auge reicht   (Kumasi)
lassen, die uns unseren Weg zeigten. Es scheint mir nach unseren beinahe zwei Tagen in dieser Millionenmetropole, als sei die gesamte Innenstadt von Kumasi ein einziger Markt, überall, auf jedem freien Fleckchen Erde wird einfach immer Handel betrieben.
Das Geheimnis der Märkte ist wahrscheinlich das hiesige Steuersystem. Die Händler müssen nur eine ganz winzige Abgabe für ihren Marktstand bezahlen. Diese Handelsfreiheit, und dazu eine große, kontinuierlich fortschreitende Inflation sind wahrscheinlich der Grund für das Handeln an jeder Ecke. Diese Freiheit sorgt auf der einen Seite für massive Infrastruktur-Probleme: Hunger, Armut, Elend und mangels Steuereinnahmen Ohnmacht von Seiten des Staates; auf der anderen Seite aber auch alle drei Tage ein herrliches und für mich für immer unvergessliches Fest, einen ghanaischen Markt.

Montag, 30. Dezember 2013

Fremde Weihnachtsfeierlichkeiten


Dass Weihnachten hier ein bisschen anders sein wird als in Deutschland, hatte ich mir schon im Sommer denken können. Ich war gespannt, was sich hier abspielen würde. So wie es dann tatsächlich war, hätte ich es mir niemals vorstellen können.
Der Reihe nach: zunächst musste ich Gastmutter Baby erklären, was Advent ist und wie er bei uns gefeiert wird. Weil viele Häuser von Nalerigu nicht an das Stromnetz angeschlossen sind und andere auf Stromausfälle vorbereitet sein wollen, ist es ein Leichtes, in einem der vielen kleinen Läden für umgerechnet weniger als 70 Cent vier Kerzen zu besorgen. Mangels Tannenzweigen, Draht und Dekoration gelingt es mir allerdings nicht, einen Adventskranz herzustellen. Thomas hat mir aber bei seiner Rückkehr aus Deutschland einen Adventskalender mitgebracht. So durfte ich nun meinen Gastgeschwistern Kate und Bernice beispielsweise erklären, was man mit dem Nussknacker hinter Türchen 1 oder dem Schlitten hinter Türchen 9 eigentlich anfängt. Hier gibt es weder Walnüsse noch Schnee...
Wie das Weihnachtsglöckchen zuhause wird die Pausenglocke der Miracle Brain von Hand geläutet
ventslieder gibt es auch nicht. Die überwiegend amerikanischen oder aus dem Deutschen übersetzten Weihnachtslieder werden schon in der Adventszeit abgespielt, selbst der Christbaum wird schon Mitte Dezember aufgestellt. Ihr habt richtig gelesen: wir haben tatsächlich einen Weihnachtsbaum. Eine amerikanische Missionarsfamilie hat vor einigen Jahren ein Plastikexemplar meiner Gastfamilie geschenkt, das jetzt mit amerikanischen Lichterketten geschmückt alle Jahre wieder vor sich hin blinkt. Weil es auch hier Tradition ist die Spitze mit einem besonders großen Stern zu schmücken, der alte Stern aber zerbrochen war, durfte ich mit Hilfe einer einfachen Internet-Bastelanleitung (etwas in Eile) einen neue Pappstern anfertigen. Irgendwie verbreitet der Baum eine ganz andere Stimmung als der mir bekannte, frisch geschlagene und mit Wachskerzen und Strohsternen geschmückte Christbaum, den ich bisher in unserem Wohnzimmer gewohnt war.
Vor der Metzgerei wartet fast immer ein Ochse auf die Schlachtung
Obwohl ich in der Katholischen Kirche am dritten Advent tatsächlich eine Weihnachtspredigt zu hören bekomme, war die Adventsstimmung insgesamt anders. Ich gestehe ein, ich habe mich auf die Ankunft meines Vaters - den ich mehr als fünf Monate nicht gesehen hatte - am 26. Dezember fast genau so sehr gefreut wie auf die Ankunft Christi. Doch die sich im Advent anbahnende Weihnachtsfeier sollte eine ganz andere Wendung nehmen.
und Esel werden überall gebraucht, um Wasser o.Ä. zu transportieren
An dem Morgen, an dem das 19. Türchen des Adventskalenders geöffnet werden sollte und der gleichzeitig der letzte Schultag war, erwachte ich mit 39,5°C Fieber und starken Schmerzen am ganzen Körper aus dem Schlaf: auf dem schnellsten Weg zum Arzt! Auch wenn im Labor in meinem Blut keine Parasiten ausfindig gemacht werden können, lautete die Diagnose Malaria. Zu meinem Glück verläuft die Krankheit, ohne Komplikationen, weswegen ich bereits am 23. Dezember das Bett für mehrere Stunden verlassen kann. Bei alter Stärke bin ich trotzdem nicht. Als für Weihnachten einige unserer Guinea-Fowls geschlachtet werden müssen, entwischt mir eines der wilden Tiere. Thomas - als Vegetarier - freut sich über mein Missgeschick. Mir ist es sehr peinlich. Doch am Abend kann der Vogel wieder eingefangen und und seinem Schicksal überantwortet werden.
Ein winziges Loch im Dach des Hühnerstalls: der Stern von Bethlehem
Am Morgen des 24. Dezembers fühle ich mich noch immer sehr schwach und stehe erst gar nicht auf. Der Arzt muss wieder angerufen werden. Er macht sich wegen des für ihn etwas zu langsamen Heilungsfortschrittes etwas zu große Sorgen, und möchte mich in seinem Haus beobachten. Heilig Abend in einem der amerikanischen Arzthäuser, damit hätte selbst ich nicht gerechnet, doch das Schicksaal hat es nicht anders gewollt. Aber es ist eine gute Gelegenheit, mich mit den Amerikanern auszutauschen, und auch sie interessieren sich für meine vielen Erlebnisse in Nalerigu. Schließlich bin ich mittlerweile länger hier als jeder von ihnen. Wir bekommen ein gutes Abendessen, das große Weihnachtsessen wird für den 25. angekündigt. Wir hören Orchestermusik und versuchen ein unglaublich schwieriges Puzzle zu lösen. Was kombiniert mit dem kleinen Plastikweihnachtsbaum, der auch hier im Arzthaus aufgestellt ist, eine meditative und angenehme Stimmung ergibt. Als die anderen gegen 22Uhr einen Gottesdienst besuchen, das Puzzle aber noch immer kein Bild zeigt, gehe ich schlafen. Ich fühlte mich, was wohl den starken Medikamenten geschuldet ist, unglaublich schwach. Nachdem ich an Weihnachten zum ersten Mal seit sechs Monaten wieder warm duschen durfte, war ich mir am Weihnachtsnachmittag ganz sicher, dass ich meine Krankheit überwunden habe.
Babys gibt es überall
Ich beschließe also am 25. zu meiner Gastfamilie zurückzukehren, die sich zwar über meine Genesung freut, ihre Weihachtsfeierlichkeiten aber mehr oder weniger abgeschlossen hat. Am Weihnachtsabend muss ich früh zu Bett gehen, denn wegen der Ankunft meines Vaters muss ich schon um vier Uhr morgens nach Tamale reisen.

Meine Mutter erteilte mir in einem Brief, der mir mitgebracht wurde, den Auftrag, weihnachtliche Motive in Nalerigu zu finden und zu fotografieren. Zunächst habe ich das für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten, bei fast konstant über 30°C will einfach keine richtige Weihnachtsstimmung aufkommen. Schließlich habe ich doch einiges gefunden, was ich gerne mit euch teilen möchte. Denn diese Motive vermitteln auch etwas von der Wirklichkeit in Nalerigu.