Montag, 16. September 2013

Anne



Anne
Zufällig studierte  Anne, die Mitglied meiner deutschen Entsendeorganisation evivo ist, für einige Monate in Tamale. Wenn wir aus medizinischen Gründen, oder wegen Visumsfragen, oder zum Geld abheben nach Tamale fahren mussten, ergab sich immer eine nette Gelegenheit, die Studentin der "University of development studies" UDS zu besuchen. In ihrem Studentenwohnheim, einem großen mehrstöckigen Gebäude mit defekter Brandmelde-anlage, konnten wir bei unseren Besuchen jeweils übernachten.
kurze Rast in der grünen Regenzeitlandschaft, im Hintergrund Nalerigu
Dabei lernten wir nicht nur ihre netten deutschen Mitstudenten kennen, die im obersten Geschoss des Gebäudes eine WG gebildet hatten, wir bekamen auch die Möglichkeit, mal wieder ein Treppenhaus oder ein Restaurant von innen zu sehen. Insbesondere der letzte Besuch verlief zu unserem Glück sehr erfolgreich, sodass wir unter anderem mit dem Päckchen aus Deutschland, auf das ich wochenlang gewartet hatte, nach Nalerigu zurückkehren konnten. In die Stadt, deren Besuch - mangels Beinfreiheit im Bus, langen Wartezeiten an der Bushaltestelle und den schlechten Straßen in Ghana - jedesmal eine Tortur ist, muss ich jetzt zumindest für eine gewisse Zeit nicht mehr zurückkehren. An sich habe ich nichts gegen diese sehr lebendige Stadt (nur am Tag der Gerichtsentscheidung über die angefochtenen Wahlen war es dort ungewöhnlich ruhig): mehrstöckige Häuser, Verkehrsampeln, ordentliche Straßen, viele Kreuzungen, angeblich sogar ein Freibad und ein Friseur werden uns auch in Zukunft immer wieder dort hin locken. 
Mein letzter Friseurbesuch allerdings war nicht wirklich zufriedenstellend. Der Friseur hatte zwar einen guten Ruf, dafür aber keine Schere, sodass er meine Haare sehr kurz rasierte. Den Ghanaern gefällt das, mir allerdings nicht wirklich. Thomas hat sich einen Tag später dazu entschlossen, sich die Haare von mir schneiden zu lassen, was - wie ich finde - auch kein besseres Ergebnis mit sich gebracht hat.
Zum Abschluss ihres Ghanaaufenthaltes hat Anne auch noch einen Tag in Nalerigu verbracht, um so unser Projekt kennen zu lernen. Anne kommt wie eine echte Touristin mit einer großer Kamera, wodurch ihr - das muss man anerkennen - einige nette Schnappschüsse gelingen. Sie möchte an ihrem einen Tag hier auch den Nachbarort Gambaga besichtigen, der neben dem Büro eines ihrer Studienfreunde,  auch ein "witch-camp" beheimatet.
im Hexen-Camp
Frauen, die beschuldigt werden, Hexen zu sein und von einem Gericht schuldig gesprochen werden, müssen sich entweder in eine der Lehmhütten des Camps flüchten oder sie werden umgebracht. Zu den überwiegend älteren Frauen muss sich bald wohl auch ein erst siebzehnjähriges Mädchen flüchten, das zwei Tage vor dem Tod eines Jungen in einem Streit mit ihm die Worte "du wirst schon sehen" fallen ließ. Der Häuptling von Gambaga weiß durchaus Kapital aus Touristen wie uns zu schlagen und verlangt - neben einer Huldigung seiner Person - auch umgerechnet 3,50 €.
unterwegs mit dem Fahrrad, an dem Fluss da unten sollen angeblich Krokodile leben
Die Wege nach Gambaga und zurück stellen uns, obwohl sich Gambaga nur ungefähr 8km von Nalerigu entfernt befindet, vor ein Problem. Bus oder Taxi gibt es nicht. Anne möchte mit dem Fahrrad fahren, gibt in der Hitze aber bereits nach der ersten Steigung auf. Wir steigen
auf ein Motorrad um, was zwar gefährlich, weniger sportlich und schädlich für die Umwelt ist, dafür aber einen schönen und bequemen Ausflug ermöglicht. Erst beim Rückweg verliert Anne vollends die Angst vor dem Motorrad mit seinem Fahrer, der - weil es das in Ghana nicht gibt - noch immer keinen Motorradführerschein besitzt. Sie beginnt, ähnlich wie man es bei der Tour de France beobachten kann, hinten auf dem Motorrad Fotos zu schießen.
Die Straße nach Gambaga muss an dieser Stelle
ausdrücklich gelobt werden, sie ist die einzige weit und breit, die asphaltiert und schlaglochfrei ist. Ansonsten wären die Turnübungen, die Anne hinter mir unternommen hat, wohl nicht ohne weiteres möglich gewesen.
Zurück in Nalerigu zeige ich ihr noch das Waisenhaus und die Schule. Dann wird der schöne Tag mit einem abendlichen Fahrradausflug abgeschlossen. Ich bin schon gespannt, was ich mit den anderen Nalerigutouristen, die sich bereits angekündigt haben, erleben darf.

Donnerstag, 5. September 2013

Eine etwas andere Ordnung



Eine etwas andere Ordnung

Beim Essen im Wohnzimmer des Pastors

Es ist alles ein bisschen anders geordnet hier in Nalerigu und zwar auf allen Ebenen. Ich will damit ausdrücklich nicht sagen, dass es mir hier nicht gefällt, oder dass es schlecht geordnet wäre. Ganz im Gegenteil, ich genieße die sehr entspannte, unverkrampfte, freiheitliche Lebensweise der Ghanaer. 
Schon im Wohnzimmer des Pastors ist uns gleich beim ersten Besuch das alte verstaubte Bücherregal, in dem die Bücher übereinandergeschichtet lagen, aufgefallen. Thomas und ich haben es, weil wir wirklich jeden Tag davor sitzen, etwas in Ordnung gebracht. 
von den Deutschen geordnetes Bücherregal

Als ich neulich in Tamale war, der Hauptstadt der "Northern Region", einer Stadt mit ungefähr einer halben Million Einwohner, ist mir die etwas andere Ordnung besonders aufgefallen. Es gibt anders als in Nalerigu kleine Supermärkte. Einer stellt uns sogar einen Kassenzettel aus, unten sind immerhin drei Prozent Mehrwertsteuer vermerkt. 

Das Zentrum der Stadt bildet nicht wie in Deutschland üblich eine Fußgängerzone. So etwas gibt es hier nicht, das Zentrum ist vielmehr die Hauptstraße. Auf ihr pendeln hunderte zerbeulte Taxen, es gibt kein richtiges Stadtbusnetz und natürlich auch keine Straßen- oder U-Bahn. Vor übermäßiger Konkurrenz fürchtet sich unser Taxifahrer allerdings auch nicht, und holt uns fast eine Stunde später ab als vereinbart. 


Auch der Bus mit der unaussprechbaren Endstation Bunkpurugu, der auch durch Nalerigu fährt, kommt regelmäßig viel zu spät. Zu unserem Glück hatte er, als wir gefahren sind, nur etwas mehr als eine Stunde Verspätung. Einer der anderen Passagiere des Busses hat sich dazu entschlossen, in Tamale Rohre einzukaufen. Das hat den ohnehin für meine Beine schon knapp bemessenen Raum zusätzlich über die Schmerzgrenze hinaus verkleinert. Nach vier Stunden erreichen wir das Zentrum von Nalerigu. Weil auch der schmale Mittelgang vollgestopft ist, schieben wir uns mehr oder weniger gewaltsam aus dem Bus. Draußen fällt uns auf, dass der Boden des Busses, den wir als Stauraum für unser Gepäck verwendet hatten, sehr heiß war. Das Fruchtfleisch einer von zwei in Tamale gekauften Ananas hatte sich bereits grün gefärbt. 


Zurück in Nalerigu: auch hier herrscht - neben einem sogenannten Häuptling, einem vom Ältestenrat dubios bestimmten reichen Moslem mit angeblich über zwanzig Frauen und  mehr als hundert Kindern - die Freiheit. Die Straßen werden, weil sie für Autos größtenteils untauglich sind, hauptsächlich von Motorradfahrern ohne Führerschein benutzt. Auch ich durfte mich schon versuchen, fürchte aber etwas um meine Gesundheit: denn es gibt keine Verkehrsregeln, außer grob Rechtsverkehr, und absolutes Fahrverbot vor dem Hof des "Häuptlings". Die Motorräder haben selten Rückspiegel, meist keine Blinker, aber fast alle eine Hupe. Diese ist auch darum ein sehr brauchbares Verständigungsmittel, weil fast keiner einen Helm und jeder deswegen die Ohren frei hat. 


Der Lastwagen, der der Familie des Pastors Holz aus der südlichen Regenwaldregion liefert, nimmt aus Versehen den Pfeiler eines mit Halmen gedeckten Unterstandes mit. Ein paar Tage später ist plötzlich ein lautes donnerndes Geräusch zu hören: nun hat ein Lastwagenfahrer die Ecke des Hauses des Pastors mitgenommen. Der Mann steigt aus, entschuldigt sich kurz und fährt weiter. Als ich erzähle, dass in Deutschland in solchen Fällen die Polizei gerufen wird, lacht Jeremiah und holt ein Megafon aus dem nunmehr zerstörten Zimmer. Er richtet es auf die nächste Straßenecke und sagt laut durch "Please, the Police, the Police, the Police, somebody destroyed our room!"


Total lächerlich, hier wegen so etwas die Polizei zu rufen. Nur um Einbrüche oder Morde kümmern sich die Polizisten, die nicht einmal eine Notrufnummer haben. Statt dessen gibt es über das gesamte Dorf verteilt kleine Polizeiwachen, damit wenigstens die Einbrecher etwas Furcht bekommen. Vor allem vor ihnen fürchtet sich das Dorf. Vor unserem
gesicherte Gartenmauer
Haus gibt es Wachhunde, im Garten brennt die ganze Nacht eine helle Laterne, der Garten ist von einer mannshohen Mauer umgeben, an deren oberen Ende Glassplitter eingearbeitet sind.  Allerdings keineswegs ein unüberwindbares Hindernis, denn sogar die Hühner können einfach darüber fliegen. 



Nein, der Staat hat hier keine mit dem deutschen vergleichbare Rolle. Und wenn ich die seitenlangen Informationsschreiben des Bundeswahlleiters zur kommenden Bundestagswahl lese, erinnere ich mich zurück an mein Heimatland mit Motorradhelmpflicht, TÜV, Schilderwald, Blitzampeln, überhaupt Verkehrsampeln, Bürokratie, Steuererklärungen, Denkmalämter, Baurecht, Brandschutzverordnungen, Arbeitsrecht, Steuern im zweistelligen Prozentbereich, Klassen mit nur bis zu fünfunddreißig Schülern, billige Nahrung, Bibliotheken, in denen die Bücher alphabetisch geordnet sich immer genau an der richtigen Stelle befinden, die guten alten Notrufnummern, das Jugendamt, das eingreift wenn Kinder "verwahrlost" sind, Arbeitslosengeld, Krankenversicherungspflicht und vieles mehr, was hier absolut unnütz und lächerlich erscheint. 



Zum Schluss sollte noch erwähnt werden, dass Ghana durchaus eine Demokratie ist, weil aber keiner in die Politiker vertraut, können diese nicht wirklich Macht ausüben. Am Donnerstag, 29. August, musste sich zudem das Verfassungsgericht mit Unregelmäßigkeiten bei der letzten Wahl beschäftigen. Wir haben uns trotz Reisewarnungen nach Tamale getraut und eine menschenleere, aber - weil bestens von Polizisten, einigen Scharfschützen und Militärfahrzeugen bewacht - friedliche Stadt vorgefunden. Auch andererorts ist es dank enormer Sicherheitsvorkehrungen friedlich geblieben. Ein Glück, dass viele wichtige Bereiche, die in Deutschland der Staat abdeckt, hier von den Kirchen abgedeckt werden. So wird zum Beispiel auch das "Waisenhaus", in dem ich arbeite, kirchlich finanziert. Und ja, die zehn Gebote, die Sonntag für Sonntag von den Pastoren gepriesen werden, gelten hier wirklich, zumindest für die Christen.

Dienstag, 3. September 2013


Zwischenbemerkung: Liebe Blogleser,

der Blogautor hatte in den vergangenen Wochen immer wieder diverse, teilweise unerklärliche Krankheiten und konnte daher seine Berichterstattung nicht fortsetzen. 

Statt dessen durfte er unter anderem zwei Stunden Krankenwagen fahren, seine Zunge im Spiegel bewundern, leckere Medikamente schlucken und natürlich viel im Bett liegen. Nach seiner vollständigen Genesung wird er wieder an seinem Blog schreiben.
 

Es besteht kein Grund zur Sorge, alles ist wieder gut.