Samstag, 30. November 2013

Der Najiri



Der Najiri
für die hiesige traditionelle Kultur spielt der Najiri, was übersetzt soviel wie Häuptling oder König heißt, eine ganz wichtige Rolle. Der Häuptling von Nalerigu ist nicht nur Herrscher in einem Ort, er ist gleichzeitig der König unseres Mamprusi Königreichs. Alle anderen Häuptlinge sind ihm untergeordnet. Nalerigu ist damit gewissermaßen auch die Hauptstadt. 

Eigentlich sollte jeder Besucher von Nalerigu gleich nach seiner Ankunft erstmal dem König huldigen. Nach vier Monaten hier hat mich letzten Samstag der Anruf einer amerikanischen Missionarin erreicht. Ich wurde eingeladen, zusammen mit einer Gruppe von amerikanischen Ärzten und Krankenschwestern zum Palast zu gehen und endlich den König zu treffen. Zuvor noch eine kurze Einführung in die Kultur. Um ihm seine tiefe Ergebenheit zu zeigen, muss man ganz in die Hocke gehen und als Mann mit angewinkelten Fingern in die Hände klatschen. Die Amerikaner tragen alle Smogs, das sind ärmellose dicke Pullover, mit extra weitem Bund damit sie schön flattern wenn man einen traditionellen Tanz darin ausübt. Einer der Amerikaner, der die traditionelle Kultur hier wohl besonders schätzt, ist selbst so etwas wie ein Häuptling. Er zieht zusätzlich einen Hut auf, der von der Form her ein bisschen an den Hut eines Kochs erinnert, aber aus dickem buntem Stoff hergestellt wurde.

Auf der Ladefläche eines Pickups fahren wir über die holprige Straße zum Palast. Dort angekommen warten wir zunächst bis wir hereingelassen werden. Vom schattigen Vorplatz des Palastes aus sieht man die vielen Frauen und Kinder des Königs ein und ausgehen. Wie früher schon beschrieben sollen es mehr als zwanzig Frauen und mehr als 100 Kinder sein. Dementsprechend groß ist auch der Palast. Als der König endlich Zeit für uns hat, werden wir in einen gefliesten Raum geführt. Als wir den Chief auf seinem erhöhten Thron sitzend erblickten, haben wir gleich fleißig angefangen, ihm zu huldigen, alle in die Knie und einmal kräftig in die Hände geklatscht. Der Chief ist ein älterer bärtiger Herr mit leiser sehr freundlich wirkender Stimme. Er ist - wie es sich traditionell hier gehört - natürlich barfuß, seine Füße allerdings ruhen auf Fellen von wilden Tieren. Neben dem Thron wartet ein riesiger Samsung Flachbildfernseher auf seine Benutzung. Hinter dem Thron an der Wand hängt - das wird mir auch von einer Amerikanerin gleich ins Ohr geflüstert – hängt tatsächlich eine Schwarzwälder Kuckucksuhr.

Der Chief hat einen Übersetzer, von Englisch in Mampuli. Weil unser amerikanischer Häuptling im Palast des Mamprusi Königreichs lieber versucht Mampuli zu sprechen, übersetzt der Übersetzer für seinen König heute ausnahmsweise von Mampuli in verständliches Mampuli und für uns das ganze nochmal in Englisch. Jeder von uns wird einzeln vorgestellt, ich natürlich mit meinem hier bekannten, weil aussprechbaren Namen „Greg“. Zum Höhepunkt des Besuchs werden dem König Geschenke überreicht. Unser amerikanischer Häuptling gibt ihm umgerechnet ca. 25 EUR, was hier ziemlich viel Geld ist. Weil die amerikanischen Ärzte aber auch an die Kinder denken, werden dem König auch Schokoladen und Haribo Artikel geschenkt. Aus Angst vor Giftanschlägen nimmt der Chief seine Geschenke nicht persönlich entgegen, sondern lässt das einen der ungefähr fünf bereit sitzenden Diener machen. Als alle vorgestellt und die Geschenke übergeben waren wurde - natürlich mit Erlaubnis des Königs - angefangen Fotos zu schießen. Es dauert eine halbe Ewigkeit bis wir uns dann endlich verabschieden und den Palast des Königs verlassen können.

Anmerkung: Alle Wörter auf Mampuli habe ich so geschrieben, wie ich glaube, dass man sie als Deutscher am ehesten richtig liest. Die Sprache besitzt ein eigenes Alphabet, mit unseren Buchstaben kann man Wörter wie Najiri, Sominga, oder auch Mampuli selbst gar nicht richtig schreiben.


Mittwoch, 20. November 2013

Technologie



Technologie
Biegt man von der Hauptstraße von Tamale nach Bolgatanga in Walewale Richtung Nalerigu ab, taucht man endgültig in eine ganz andere Welt ein. Ab hier beginnt eine etwa zweistündige Fahrt über eine Straße, deren rötlicher Belag man sich vorstellen muss als eine Mischung aus Sand, Erde und Staub. Es ist anscheinend eines der Lieblingswahlversprechen, diese Straße zu asphaltieren. 

Hauptsächlich wegen dieser Straße ist Nalerigu von der Außenwelt isoliert, und daher ein herrlicher noch traditionell geprägter, einfacher und ländlicher Ort. Zu Beginn kam ich mir teilweise wie in einem riesigen, lebendigen Museum vor. Ganz langsam, oder „small, small“ wie man hier zu sagen pflegt, dringen Einflüsse von außen hierher durch.

In meiner Schule wird ein Bleistift-Spitzer für eine ganze erste Klasse - also siebzig Schüler - zum Spitzen verwendet. So versucht die Schule, langsam das Spitzen mit Rasierklingen, das hier traditionell üblich war, abzulösen und den Schülern das Schreiben mit schön rundgespitzten Bleistiften zu ermöglichen. Dass der eine Spitzer natürlich nach wenigen Wochen völlig am Ende ist weiß hier keiner, er spitzt trotzdem irgendwie, man muss nur kräftig genug draufdrücken. 

Entlang der Straße verläuft seit 1998 eine Stromleitung, die das Leben hier deutlich einfacher gemacht hat. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Stromversorgung hier auch nur annähernd mit der deutschen zu vergleichen ist. Schon der geringste Regen irgendwo zwischen Nalerigu und Tamale sorgt garantiert für Stromausfall. Wenn der Strom ausfällt,  lässt der Regen meistens nicht lange auf sich warten, so dass Stromausfall auch als Wettervorhersage verstanden wird. 

Bisher, so schätze ich, ist in etwas mehr als drei Monaten hier der Strom schon mehr als zweihundert Mal ausgefallen. Meistens nur für kurze Zeit, aber wer beispielsweise an einem Computer arbeitet, muss ständig speichern und immer wieder neu hochfahren. Strom wird unter anderem auch wegen den häufigen Stromausfällen nicht wie bei uns für fast jede Arbeit eingesetzt. Im Kapitel Regen habe ich schon erwähnt, dass Schreiner keine elektrischen Geräte verwenden - dieses Phänomen ist bei fast allen Handwerken zu beobachten. Die vielen Schneider führen ihre bunten Stoffe nur mit
in der Schneiderwerkstatt
einer Hand durch die Nähmaschinen, weil sie eine Hand zum Antreiben eines Rades einsetzen, was die ganze Maschine erst in
mein neues T-Shirt unterm Kohle-Bügeleisen
Bewegung versetzt. So kann zumindest ich als Anfänger nur ganz langsam nähen. Besonders Arbeiten, die traditionell von Frauen durchgeführt werden, sind wenig angesehen und werden daher in meinen Augen mit völlig veralteten Gerätschaften durchgeführt. Dass auf einer Seite hauptsächlich Männer im Internet surfen oder Motorrad fahren, während gleichzeitig Frauen ohne Ofen über dem offenen Feuer kochen, erscheint mir äußerst ungerecht.

Nalerigu besitzt im Gegensatz zu den benachbarten Ortschaften ein Wasserleitungsnetz. Offiziell jeden Morgen werden die Leitungen geöffnet und die Häuser mit Wasser versorgt. Einige Familien haben Wassertanks, die das Wasser automatisch speichern. Andere schöpfen es in Fässer, um so auch tagsüber Zugang zu Wasser zu bekommen, ohne dass man zum nächsten Bohrloch laufen muss. An manchen Tagen öffnet das Wasserwerk die Leitungen nicht, warum auch immer. Dann lassen sich die bessergestellten Leute Wasser zu ihrem Haus bringen: entweder klassisch mit einem Eselskarren, oder, was die Esel gerade ablöst, mit einem „Motoking“, das ist ein motorisiertes Fahrzeug, das immerhin zwei Fässer gleichzeitig transportieren kann. Esel und Motoking holen das Wasser von einem kleinen Stausee ab, in dem wohl das ganze Jahr Wasser ist. Wer nicht an das Leitungsnetz angeschlossen ist, muss zum nächsten Bohrloch laufen, das bis zu 200 Meter entfernt sein kann. Dort muss man von Hand das Wasser aus dem Erdreich in Eimer pumpen. Diese werden - wie alles andere auch - auf dem Kopf nach Hause getragen. 

Internet und auch Fernsehen sind Errungenschaften, die wohl bald reichlich Informationen und Aufklärung über viele Dinge nach Nalerigu bringen dürften, freilich ganz langsam, „small small“. Derzeit ist die berühmteste Fernsehfigur der „Prophet“ T.B. Joshuah. Er hat durch Wunderheilungen und seltsamste Dämonenaustreibungspraktiken ungeheure Popularität erlangt. Es ist in meinen Augen richtig, dass er eine der mächtigsten Personen Afrikas ist. Sogar in der Schule hängt seit neuestem ein großes Plakat, das ihn wütend gegen einen Dämonen kämpfend zeigt.

Ein weiterer entscheidender Unterschied zur europäischen Technologie stellt der Hausbau dar. Traditionell formen zehn bis fünfzehn kleine runde Lehmhütten einen sogenannten „Compound“. Das bedeutet, sie stehen kreisförmig um einen Innenhof herum und sind durch eine Mauer verbunden, was einer Familie, die jeweils einen „Compound“ besitzt, Sicherheit gewähren soll. Mit der Zeit wurde die typische kleine runde, mit
traditionelle Lehm-Hütten
Halmen gedeckte Hütte von einer in der Grundform rechteckigen mit Wellblechdach gedeckten abgelöst. Das heutige Stadtbild ist von einer Mischung aus beidem geprägt. Einige Familien haben noch ganz traditionell nur kleine runde mit Halmen gedeckte Hütten, andere etwas modernere Familien besitzen ein in der Grundform rechteckiges einstöckiges Lehmhaus und einige kleine runde Hütten. Die Allerfortschrittlichsten haben ein Haus aus vorher mit Sand und Zement angefertigten Betonsteinen oder sogar kräftigen Pfeilern, was, ganz modern, mehrstöckiges Bauen ermöglicht. Bislang ist das aber wirklich die absolute Ausnahme und die meisten Leute können von so etwas nur träumen. 

Baustellen sieht man hier übrigens sehr viele, nicht nur weil Nalerigu schnell wächst, sondern auch weil die aus gestampftem Boden aufgebauten Häuser der einfachen Bevölkerung ungefär alle zehn Jahre in sich zusammenfallen und dann neu aufgebaut werden müssen. Vor zwei Jahren, wurde mir erzählt, sei ein Schüler meiner Miracle-Brain-Schule dadurch ums Leben gekommen. Der ältere Teil der Schule, der heute noch für die Jüngeren Schüler verwendet wird, ist auch nur aus gestampftem Erdboden. Zum Glück waren gerade Ferien, als das letzte Mal eine Wand einfiel. Weil das Dach dieses Raumes noch steht, können dort nun Fahrräder und Motorräder der Schüler und Lehrer geparkt werden. Allerdings kommen die meisten zu Fuß.

Zum Schluss noch die wohl verblüffendste Entwicklung der letzten Jahre: sehr sehr viele Leute besitzen ein Handy, viele sogar zwei, damit sie gleichzeitig die hier verbreitetsten Telefonanbieter, Vodafone und MTN benutzen können. Handytelefonate sind auch deswegen verbreitet, weil sie unglaublich billig sind. Ich verwende mein Handy nicht gerade sparsam, und verbrauche trotzdem meistens deutlich weniger als einen Euro im Monat.