Die Begeisterung,
Freude und Freiheit, mit der die meisten Leute hier leben, zeigt sich besonders
in der Musik, zu der immer getanzt wird. Dieser Teil der Kultur war für mich
schon vor meiner Ankunft präsent, es gibt in Europa ein weit verbreitetes Bild
von Afrikanern, die zu ihren traditionellen Holztrommeln im Kreis herumhopsen.
Das war hier wohl früher verbreitet, und die Afrikaner bezeichnen das noch
immer als ihre Kultur.
Seit ich hier bin,
habe ich aber ein ganz anderes Bild von afrikanischem Tanz. Die Musik scheint
sich in den letzten Jahren mit dem weit verbreiteten Gebrauch von Keyboard,
Schlagzeug, E-Gitarre und Mikrofon stark modernisiert zu haben. Die ganz
einfachen Trommeln basteln sich die Kinder nicht mehr aus Holz, sondern aus
alten Fahrradschläuchen und alten Reissäcken oder Blechdosen. In den Kirchen
spielt die Musik meistens die zentrale Rolle im Gottesdienst. Nicht wie bei uns
jahrhundertealte Lieder, nein ganz moderne elektronisch unterstützte, rhythmische
Lieder laden die Gemeinde während dem Gottesdienst zum Tanzen ein. Freude und
Begeisterung bricht aus, die Leute singen so laut sie können mit, außer mir
versteckt sich keiner.
Schon von klein auf
bewegen sich die Kinder gerne zur Musik. Mein zweijähriger Gastbruder erntet
regelmäßig Applaus, wenn er seine ersten Versuche macht, sich zur Stereoanlage
in unserem Wohnzimmer zu bewegen. Seine große Schwester tanzt völlig freiwillig
mit großer Freude alleine vor der ganzen Kirchengemeinde zu ihrem Lieblingslied
„You too the bless me“. Wenn der Kindersender „4kids“ in unserem Wohnzimmer
einmal in der Woche eine unprofessionell erscheinende in Afrika gefilmte
Veranstaltung zeigt, sieht man dort oft schon kleine Kinder einen vorher
einstudierten Tanz aufführen. Das Kamerateam zeigte neulich sogar die mit
Schlagstöcken bewaffneten Lehrer, die bei so einer hoch offiziellen
Veranstaltung wohl dafür sorgen sollten, dass keiner aus der Reihe tanzt.
Zurück nach Nalerigu:
Tanzgelegenheiten finden sich hier zuhauf. Neben dem normalen Gottesdienst gibt
es zahlreiche groß gefeierte Beerdigungen - ich würde sie eher als Lebensfeiern
bezeichnen. Und natürlich der Tanz bei den Hochzeiten! Aber auch sonst gibt es viele
Möglichkeiten zu tanzen. Zum Beispiel vor einem der vielen CD-Läden, die durch
riesige Lautsprecher auf der Straße versuchen Kunden anzulocken, und durch die
laute Musik jegliche andere Straßenmusik übertönen.
Ab und zu nehmen wir
Tanz auch mit unseren „Waisenkindern“ ins Programm, und sie nehmen das auf wie
eine Belohnung. Am Unabhängigkeitstag strömten die Leute in den nahen
Nachbarort Gambaga um dort zuerst den Schülern der vielen verschiedenen Schulen
beim streng in Dreierreihen geordneten militärischen Marschieren zuzusehen.
Nachdem die Schüler dann in der heißen Sonne stillstanden, ihre Preise an sich
genommen und die Rede des Abgeordneten über sich ergehen lassen hatten (ich
hatte nicht den Eindruck, dass die Leute zugehört haben), wurde endlich groß
zusammen getanzt.
Der letzte Schultag
vor den Ferien, an dem auch immer die Zeugnisse verteilt werden, gehört den
Schülern und wird "our day" genannt: und was könnten die Schüler
lieber tun als Tanzen? Kurz vor den Osterferien hatten die ersten leichten Regenfälle eingesetzt; das
war allerdings schon zu viel für einen Gebäudeteil der Schule: er brach in sich
zusammen, zum Glück ohne dass sich jemand verletzt hat. Weil sich im anderen
Teil des Gebäudes das einzige mit Strom versorgte Klassenzimmer befindet, wurde
es kurzerhand in eine kleine Diskothek verwandelt: aus alten Heften hatten die Schüler Girlanden gebastelt, das
Zimmer damit verziert und mit einer Stereoanlage ausgestattet. Noch Meter vor
der Tür und den Fenstern (ohne Scheiben!) standen die hineindrängenden Schüler,
jeder wollte hier tanzen und sich von den anderen bewundern lassen. Doch auch die
Unglücklichen, die sich nicht hineindrängeln konnten, fanden Wege und Mittel zu
einem Tanz zu kommen. Ein kleiner batteriebetriebener Lautsprecher, durch einen
USB-Stick mit Musik versorgt, fand sich in dem Klassenzimmer, in dem ich sonst
immer unterrichte. Die für die Schüler viel zu kleinen Holzschulbänke wurden
zur Seite gerückt, so dass in der Mitte eine Tanzfläche entstand, und die
nicht-tanzenden Schüler außen herum saßen und gemütlich ihr
"our-day-fanta" zu ihren "our-day-biscuits" schlürften. Die
Schüler bekamen dann ihre Zeugnisse und wurden anschließend mit dem täglichen
Abschlussspruch "We close in the name of the father, the son and the holy
spirit" in ihre Osterferien entlassen.
Auch Feiertage
werden oft für Tänze für jedermann verwendet. Junge Ghanaer - vor allem in
größeren Städten und in Südghana - wurden in den vergangenen Jahren von der
europäisch-amerikanischen Kultur beeinflusst und strömen jetzt in Bars und
Kneipen um dort zu tanzen. Hier entwickelt sich durch die Tänze Azonto und seit
neuestem auch Alingo und Al Quaeda
(http://www.leglobaliste.com/2013/06/20/can-you-dancethe-al-qaeda/) eine starke
Tanzkultur. Ihr habt richtig gelesen: einer der neuesten Tänze hat wirklich den
provokanten Namen der berühmten Terrorgruppe. Während es dieser Tanzstil wohl
nie in unsere deutschen Clubs und Bars schaffen , ist Azonto weltberühmt und
mit ihm auch einige ghanaische Künstler wie “Akon”.
Traditionalisten und
konservative Christen und Muslime, die besonders hier im Norden stark sind,
lehnen diesen neuen Trend meist ab. Sie setzten lieber weiter auf die flotten
rhythmischen modernen Gospels. Häufig auch in der Lokalsprache Mampuli, stets
aber mit Schlagzeug und Mikrofon - und sehr laut. Unser “Sommerhit” ist - weil
das ganze Jahr Sommer ist - einfach das ganze Jahr überall zu hören. Seit ich
hier bin ist das eindeutig “Personally” von P-Square.