Donnerstag, 15. Mai 2014

Musik und Tanz



Die Begeisterung, Freude und Freiheit, mit der die meisten Leute hier leben, zeigt sich besonders in der Musik, zu der immer getanzt wird. Dieser Teil der Kultur war für mich schon vor meiner Ankunft präsent, es gibt in Europa ein weit verbreitetes Bild von Afrikanern, die zu ihren traditionellen Holztrommeln im Kreis herumhopsen. Das war hier wohl früher verbreitet, und die Afrikaner bezeichnen das noch immer als ihre Kultur.

Seit ich hier bin, habe ich aber ein ganz anderes Bild von afrikanischem Tanz. Die Musik scheint sich in den letzten Jahren mit dem weit verbreiteten Gebrauch von Keyboard, Schlagzeug, E-Gitarre und Mikrofon stark modernisiert zu haben. Die ganz einfachen Trommeln basteln sich die Kinder nicht mehr aus Holz, sondern aus alten Fahrradschläuchen und alten Reissäcken oder Blechdosen. In den Kirchen spielt die Musik meistens die zentrale Rolle im Gottesdienst. Nicht wie bei uns jahrhundertealte Lieder, nein ganz moderne elektronisch unterstützte, rhythmische Lieder laden die Gemeinde während dem Gottesdienst zum Tanzen ein. Freude und Begeisterung bricht aus, die Leute singen so laut sie können mit, außer mir versteckt sich keiner.

Schon von klein auf bewegen sich die Kinder gerne zur Musik. Mein zweijähriger Gastbruder erntet regelmäßig Applaus, wenn er seine ersten Versuche macht, sich zur Stereoanlage in unserem Wohnzimmer zu bewegen. Seine große Schwester tanzt völlig freiwillig mit großer Freude alleine vor der ganzen Kirchengemeinde zu ihrem Lieblingslied „You too the bless me“. Wenn der Kindersender „4kids“ in unserem Wohnzimmer einmal in der Woche eine unprofessionell erscheinende in Afrika gefilmte Veranstaltung zeigt, sieht man dort oft schon kleine Kinder einen vorher einstudierten Tanz aufführen. Das Kamerateam zeigte neulich sogar die mit Schlagstöcken bewaffneten Lehrer, die bei so einer hoch offiziellen Veranstaltung wohl dafür sorgen sollten, dass keiner aus der Reihe tanzt.

Zurück nach Nalerigu: Tanzgelegenheiten finden sich hier zuhauf. Neben dem normalen Gottesdienst gibt es zahlreiche groß gefeierte Beerdigungen - ich würde sie eher als Lebensfeiern bezeichnen. Und natürlich der Tanz bei den Hochzeiten! Aber auch sonst gibt es viele Möglichkeiten zu tanzen. Zum Beispiel vor einem der vielen CD-Läden, die durch riesige Lautsprecher auf der Straße versuchen Kunden anzulocken, und durch die laute Musik jegliche andere Straßenmusik übertönen.

Ab und zu nehmen wir Tanz auch mit unseren „Waisenkindern“ ins Programm, und sie nehmen das auf wie eine Belohnung. Am Unabhängigkeitstag strömten die Leute in den nahen Nachbarort Gambaga um dort zuerst den Schülern der vielen verschiedenen Schulen beim streng in Dreierreihen geordneten militärischen Marschieren zuzusehen. Nachdem die Schüler dann in der heißen Sonne stillstanden, ihre Preise an sich genommen und die Rede des Abgeordneten über sich ergehen lassen hatten (ich hatte nicht den Eindruck, dass die Leute zugehört haben), wurde endlich groß zusammen getanzt.

Der letzte Schultag vor den Ferien, an dem auch immer die Zeugnisse verteilt werden, gehört den Schülern und wird "our day" genannt: und was könnten die Schüler lieber tun als Tanzen? Kurz vor den Osterferien hatten  die ersten leichten Regenfälle eingesetzt; das war allerdings schon zu viel für einen Gebäudeteil der Schule: er brach in sich zusammen, zum Glück ohne dass sich jemand verletzt hat. Weil sich im anderen Teil des Gebäudes das einzige mit Strom versorgte Klassenzimmer befindet, wurde es kurzerhand in eine kleine Diskothek verwandelt: aus alten Heften   hatten die Schüler Girlanden gebastelt, das Zimmer damit verziert und mit einer Stereoanlage ausgestattet. Noch Meter vor der Tür und den Fenstern (ohne Scheiben!) standen die hineindrängenden Schüler, jeder wollte hier tanzen und sich von den anderen bewundern lassen. Doch auch die Unglücklichen, die sich nicht hineindrängeln konnten, fanden Wege und Mittel zu einem Tanz zu kommen. Ein kleiner batteriebetriebener Lautsprecher, durch einen USB-Stick mit Musik versorgt, fand sich in dem Klassenzimmer, in dem ich sonst immer unterrichte. Die für die Schüler viel zu kleinen Holzschulbänke wurden zur Seite gerückt, so dass in der Mitte eine Tanzfläche entstand, und die nicht-tanzenden Schüler außen herum saßen und gemütlich ihr "our-day-fanta" zu ihren "our-day-biscuits" schlürften. Die Schüler bekamen dann ihre Zeugnisse und wurden anschließend mit dem täglichen Abschlussspruch "We close in the name of the father, the son and the holy spirit" in ihre Osterferien entlassen.

Auch Feiertage werden oft für Tänze für jedermann verwendet. Junge Ghanaer - vor allem in größeren Städten und in Südghana - wurden in den vergangenen Jahren von der europäisch-amerikanischen Kultur beeinflusst und strömen jetzt in Bars und Kneipen um dort zu tanzen. Hier entwickelt sich durch die Tänze Azonto und seit neuestem auch Alingo und Al Quaeda (http://www.leglobaliste.com/2013/06/20/can-you-dancethe-al-qaeda/) eine starke Tanzkultur. Ihr habt richtig gelesen: einer der neuesten Tänze hat wirklich den provokanten Namen der berühmten Terrorgruppe. Während es dieser Tanzstil wohl nie in unsere deutschen Clubs und Bars schaffen , ist Azonto weltberühmt und mit ihm auch einige ghanaische Künstler wie “Akon”.

Traditionalisten und konservative Christen und Muslime, die besonders hier im Norden stark sind, lehnen diesen neuen Trend meist ab. Sie setzten lieber weiter auf die flotten rhythmischen modernen Gospels. Häufig auch in der Lokalsprache Mampuli, stets aber mit Schlagzeug und Mikrofon - und sehr laut. Unser “Sommerhit” ist - weil das ganze Jahr Sommer ist - einfach das ganze Jahr überall zu hören. Seit ich hier bin ist das eindeutig “Personally” von P-Square.