Donnerstag, 15. August 2013

Schuhe für Samson



Schuhe für Samson

Anhand einer kleinen ertragbar traurigen Geschichte, die das Leiden Afrikas keineswegs in vollem Umfang beschreibt und mit anderen verglichen eher harmlos erscheint, will ich die alltäglichen Probleme in Nalerigu darstellen. Geschichten wie diese passieren hier leider dauernd.

Alles beginnt damit, als Samson, ein kleiner Junge, ich schätze ungefähr acht Jahre alt, eines Tages aus der Schule angehumpelt kommt. Er geht barfuß wie immer, denn Samson besitzt, wie alle Kinder des Waisenhauses und auch sonst fast alle Kinder, keine Schuhe. Manche haben Flip Flops. Der große Zeh seines linken Fuß ist stark angeschwollen, aus Mangel an Verbandszeug hat er sich notdürftig eine Plastiktüte darum gebunden. Samson ist hart im Nehmen. Auf die Idee, dass er von sich aus zum Pastor oder zu einem Lehrer geht, kommt er nicht. Er vertraut auf seine Selbstheilungskräfte.

Als er nach ungefähr einem Kilometer bei uns angehumpelt kommt, wird er zunächst von mir notdürftig versorgt. Bei jeder Berührung des Zehs fährt ihm der Schmerz durch die Glieder. Mir gelingt es auch mangels Wasser nicht einmal richtig, die etwa einen halben Zentimeter dicke Erdschicht von seinem Zeh zu entfernen. Ich war mir fast sicher, dass der Zeh gebrochen ist. Nein, sagt der Pastor, das kann nicht sein, Samson hat den Zeh schon vor Tagen angeschlagen. Wenn er gebrochen wäre, hätte er das nicht ausgehalten. Da ist Flüssigkeit drin, meint der Pastor, im Krankenhaus schneiden sie das auf, und dann wird alles gut. Zum Glück sind alle Kinder krankenversichert.

Dann bringt der Pastor Samson zu einem Verwandten. Samsons Verwandte bringen ihn ins Krankenhaus. Am nächsten Tag kann er fast wieder normal laufen. Es war über mehrere Tage ein großer Spreißel drin, berichtet der Pastor. Samsons Leidenszeit scheint sich dem Ende zuzuneigen, geschwollen ist der Zeh aber immer noch, und professionell scheint Samson auch im Krankenhaus nicht behandelt worden zu sein. Nur ein dünner Verband ist um den Zeh gewickelt, vom Sand hat er sich bereits rot gefärbt. Samson bräuchte, neben vielen anderen Dingen, dringend Schuhe.

Einen Tag später kommen Linda und Sandra, zwei Freiwillige aus Bayern, zu Besuch. Sie haben in Deutschland gesammelte Kleider und auch einige Schuhe mitgebracht, und versuchen die Sachen jetzt gerecht unter den Kindern aufzuteilen. Für jedes wird ein kleiner Stapel angefertigt. Und tatsächlich, auf Samsons Stapel landet ein gebrauchtes aber noch  verwendbares Paar Schuhe. Samson freut sich sehr! Nachdem er seine neuen Kleider angezogen hat, versucht er hineinzuschlüpfen. Aber nein, die Schuhe sind zu klein, Linda und Sandra haben Samsons Schuhgröße falsch eingeschätzt. Wir müssen zusehen, wie er verzweifelt versucht seine dreckigen Füße hineinzuquetschen. Die Schuhe passen nicht. Sie müssen an ein anderes Kind weitergegeben werden. Samson weint bitterlich, auch mein Herz schmerzt, ich kann ihn in diesem Moment so gut verstehen.

Kurz habe ich überlegt, ob ich ihm auf dem Markt sicherlich sehr billig ein Pärchen Schuhe kaufen soll, aber was wäre dann mit den anderen zweiundzwanzig Kindern, und wenn ich allen dreiundzwanzig welche kaufe, was würden dann die Klassenkameraden sagen? Nein, ich kann das Leiden Afrikas nicht stoppen, schon gar nicht, wenn ich statt den Ursachen die Folgen behandele. Auch lindern kann ich das Leiden nicht, nur trösten kann ich Samson ein bisschen. Es nützt aber alles nichts, Samson hat noch immer keine Schuhe.