Technologie
Biegt man von der Hauptstraße von
Tamale nach Bolgatanga in Walewale Richtung Nalerigu ab, taucht man endgültig
in eine ganz andere Welt ein. Ab hier beginnt eine etwa zweistündige Fahrt über
eine Straße, deren rötlicher Belag man sich vorstellen muss als eine Mischung
aus Sand, Erde und Staub. Es ist anscheinend eines der Lieblingswahlversprechen,
diese Straße zu asphaltieren.
Hauptsächlich wegen dieser Straße ist Nalerigu
von der Außenwelt isoliert, und daher ein herrlicher noch traditionell geprägter,
einfacher und ländlicher Ort. Zu Beginn kam ich mir teilweise wie in einem riesigen,
lebendigen Museum vor. Ganz langsam, oder „small, small“ wie man hier zu sagen
pflegt, dringen Einflüsse von außen hierher durch.
In meiner Schule wird ein Bleistift-Spitzer
für eine ganze erste Klasse - also siebzig Schüler - zum Spitzen verwendet. So
versucht die Schule, langsam das Spitzen mit Rasierklingen, das hier
traditionell üblich war, abzulösen und den Schülern das Schreiben mit schön rundgespitzten
Bleistiften zu ermöglichen. Dass der eine
Spitzer natürlich nach wenigen Wochen völlig am Ende ist weiß hier keiner, er
spitzt trotzdem irgendwie, man muss nur kräftig genug draufdrücken.
Entlang der Straße verläuft seit 1998
eine Stromleitung, die das Leben hier deutlich einfacher gemacht hat. Das
bedeutet allerdings nicht, dass die Stromversorgung hier auch nur annähernd mit
der deutschen zu vergleichen ist. Schon der geringste Regen irgendwo zwischen
Nalerigu und Tamale sorgt garantiert für Stromausfall. Wenn der Strom ausfällt,
lässt der Regen meistens nicht lange auf
sich warten, so dass Stromausfall auch als Wettervorhersage verstanden wird.
Bisher, so schätze ich, ist in etwas
mehr als drei Monaten hier der Strom schon mehr als zweihundert Mal ausgefallen.
Meistens nur für kurze Zeit, aber wer beispielsweise an einem Computer arbeitet,
muss ständig speichern und immer wieder neu hochfahren. Strom wird unter anderem
auch wegen den häufigen Stromausfällen nicht wie bei uns für fast jede Arbeit
eingesetzt. Im Kapitel Regen habe ich
schon erwähnt, dass Schreiner keine elektrischen Geräte verwenden - dieses
Phänomen ist bei fast allen Handwerken zu beobachten. Die vielen Schneider
führen ihre bunten Stoffe nur mit
einer Hand durch die Nähmaschinen, weil sie eine
Hand zum Antreiben eines Rades einsetzen, was die ganze Maschine erst in
Bewegung versetzt. So kann zumindest ich als Anfänger nur ganz langsam nähen.
Besonders Arbeiten, die traditionell von Frauen durchgeführt werden, sind wenig
angesehen und werden daher in meinen Augen mit völlig veralteten Gerätschaften
durchgeführt. Dass auf einer Seite hauptsächlich Männer im Internet surfen oder
Motorrad fahren, während gleichzeitig Frauen ohne Ofen über dem offenen Feuer
kochen, erscheint mir äußerst ungerecht.
in der Schneiderwerkstatt |
mein neues T-Shirt unterm Kohle-Bügeleisen |
Nalerigu besitzt im Gegensatz zu den
benachbarten Ortschaften ein Wasserleitungsnetz. Offiziell jeden Morgen werden
die Leitungen geöffnet und die Häuser mit Wasser versorgt. Einige Familien
haben Wassertanks, die das Wasser automatisch speichern. Andere schöpfen es in
Fässer, um so auch tagsüber Zugang zu Wasser zu bekommen, ohne dass man zum
nächsten Bohrloch laufen muss. An manchen Tagen öffnet das Wasserwerk die Leitungen
nicht, warum auch immer. Dann lassen sich die bessergestellten Leute Wasser zu
ihrem Haus bringen: entweder klassisch mit einem Eselskarren, oder, was die
Esel gerade ablöst, mit einem „Motoking“, das ist ein motorisiertes Fahrzeug,
das immerhin zwei Fässer gleichzeitig transportieren kann. Esel und Motoking
holen das Wasser von einem kleinen Stausee ab, in dem wohl das ganze Jahr
Wasser ist. Wer nicht an das Leitungsnetz angeschlossen ist, muss zum nächsten
Bohrloch laufen, das bis zu 200 Meter entfernt sein kann. Dort muss man von
Hand das Wasser aus dem Erdreich in Eimer pumpen. Diese werden - wie alles andere
auch - auf dem Kopf nach Hause getragen.
Internet und auch Fernsehen sind
Errungenschaften, die wohl bald reichlich Informationen und Aufklärung über
viele Dinge nach Nalerigu bringen dürften, freilich ganz langsam, „small small“.
Derzeit ist die berühmteste Fernsehfigur der „Prophet“ T.B. Joshuah. Er hat
durch Wunderheilungen und seltsamste Dämonenaustreibungspraktiken ungeheure
Popularität erlangt. Es ist in meinen Augen richtig, dass er eine der
mächtigsten Personen Afrikas ist. Sogar in der Schule hängt seit neuestem ein
großes Plakat, das ihn wütend gegen einen Dämonen kämpfend zeigt.
Ein weiterer entscheidender
Unterschied zur europäischen Technologie stellt der Hausbau dar. Traditionell
formen zehn bis fünfzehn kleine runde Lehmhütten einen sogenannten „Compound“. Das
bedeutet, sie stehen kreisförmig um einen Innenhof herum und sind durch eine
Mauer verbunden, was einer Familie, die jeweils einen „Compound“ besitzt,
Sicherheit gewähren soll. Mit der Zeit wurde die typische kleine runde, mit
Halmen gedeckte Hütte von einer in der Grundform rechteckigen mit Wellblechdach
gedeckten abgelöst. Das heutige Stadtbild ist von einer Mischung aus beidem
geprägt. Einige Familien haben noch ganz traditionell nur kleine runde mit
Halmen gedeckte Hütten, andere etwas modernere Familien besitzen ein in der
Grundform rechteckiges einstöckiges Lehmhaus und einige kleine runde Hütten. Die
Allerfortschrittlichsten haben ein Haus aus vorher mit Sand und Zement
angefertigten Betonsteinen oder sogar kräftigen Pfeilern, was, ganz modern,
mehrstöckiges Bauen ermöglicht. Bislang ist das aber wirklich die absolute
Ausnahme und die meisten Leute können von so etwas nur träumen.
traditionelle Lehm-Hütten |
Baustellen sieht man hier übrigens sehr
viele, nicht nur weil Nalerigu schnell wächst, sondern auch weil die aus
gestampftem Boden aufgebauten Häuser der einfachen Bevölkerung ungefär alle
zehn Jahre in sich zusammenfallen und dann neu aufgebaut werden müssen. Vor
zwei Jahren, wurde mir erzählt, sei ein Schüler meiner Miracle-Brain-Schule
dadurch ums Leben gekommen. Der ältere Teil der Schule, der heute noch für die
Jüngeren Schüler verwendet wird, ist auch nur aus gestampftem Erdboden. Zum
Glück waren gerade Ferien, als das letzte Mal eine Wand einfiel. Weil das Dach
dieses Raumes noch steht, können dort nun Fahrräder und Motorräder der Schüler
und Lehrer geparkt werden. Allerdings kommen die meisten zu Fuß.
Zum Schluss noch die wohl
verblüffendste Entwicklung der letzten Jahre: sehr sehr viele Leute besitzen ein
Handy, viele sogar zwei, damit sie gleichzeitig die hier verbreitetsten
Telefonanbieter, Vodafone und MTN benutzen können. Handytelefonate sind auch
deswegen verbreitet, weil sie unglaublich billig sind. Ich verwende mein Handy
nicht gerade sparsam, und verbrauche trotzdem meistens deutlich weniger als
einen Euro im Monat.