Eine etwas andere Ordnung
Beim Essen im Wohnzimmer des Pastors |
Es ist alles ein bisschen anders geordnet hier in Nalerigu und zwar auf allen Ebenen. Ich will damit ausdrücklich nicht sagen, dass es mir hier nicht gefällt, oder dass es schlecht geordnet wäre. Ganz im Gegenteil, ich genieße die sehr entspannte, unverkrampfte, freiheitliche Lebensweise der Ghanaer.
Schon im
Wohnzimmer des Pastors ist uns gleich beim ersten Besuch das alte verstaubte
Bücherregal, in dem die Bücher übereinandergeschichtet lagen, aufgefallen.
Thomas und ich haben es, weil wir wirklich jeden Tag davor sitzen, etwas in
Ordnung gebracht.
von den Deutschen geordnetes Bücherregal |
Als ich neulich in Tamale war, der Hauptstadt der "Northern Region", einer Stadt mit ungefähr einer halben Million Einwohner, ist mir die etwas andere Ordnung besonders aufgefallen. Es gibt anders als in Nalerigu kleine Supermärkte. Einer stellt uns sogar einen Kassenzettel aus, unten sind immerhin drei Prozent Mehrwertsteuer vermerkt.
Das Zentrum der Stadt bildet nicht wie in Deutschland üblich eine Fußgängerzone. So etwas gibt es hier nicht, das Zentrum ist vielmehr die Hauptstraße. Auf ihr pendeln hunderte zerbeulte Taxen, es gibt kein richtiges Stadtbusnetz und natürlich auch keine Straßen- oder U-Bahn. Vor übermäßiger Konkurrenz fürchtet sich unser Taxifahrer allerdings auch nicht, und holt uns fast eine Stunde später ab als vereinbart.
Auch der Bus mit der
unaussprechbaren Endstation Bunkpurugu, der auch durch Nalerigu fährt, kommt
regelmäßig viel zu spät. Zu unserem Glück hatte er, als wir gefahren sind, nur
etwas mehr als eine Stunde Verspätung. Einer der anderen Passagiere des Busses
hat sich dazu entschlossen, in Tamale Rohre einzukaufen. Das hat den ohnehin
für meine Beine schon knapp bemessenen Raum zusätzlich über die Schmerzgrenze
hinaus verkleinert. Nach vier Stunden erreichen wir das Zentrum von Nalerigu.
Weil auch der schmale Mittelgang vollgestopft ist, schieben wir uns mehr oder
weniger gewaltsam aus dem Bus. Draußen fällt uns auf, dass der Boden des
Busses, den wir als Stauraum für unser Gepäck verwendet hatten, sehr heiß war.
Das Fruchtfleisch einer von zwei in Tamale gekauften Ananas hatte sich bereits
grün gefärbt.
Zurück in Nalerigu: auch
hier herrscht - neben einem sogenannten Häuptling, einem vom Ältestenrat dubios
bestimmten reichen Moslem mit angeblich über zwanzig Frauen und mehr als hundert Kindern - die Freiheit. Die
Straßen werden, weil sie für Autos größtenteils untauglich sind, hauptsächlich
von Motorradfahrern ohne Führerschein benutzt. Auch ich durfte mich schon
versuchen, fürchte aber etwas um meine Gesundheit: denn es gibt keine
Verkehrsregeln, außer grob Rechtsverkehr, und absolutes Fahrverbot vor dem Hof
des "Häuptlings". Die Motorräder haben selten Rückspiegel, meist
keine Blinker, aber fast alle eine Hupe. Diese ist auch darum ein sehr brauchbares
Verständigungsmittel, weil fast keiner einen Helm und jeder deswegen die Ohren
frei hat.
Der Lastwagen, der der
Familie des Pastors Holz aus der südlichen Regenwaldregion liefert, nimmt aus
Versehen den Pfeiler eines mit Halmen gedeckten Unterstandes mit. Ein paar Tage
später ist plötzlich ein lautes donnerndes Geräusch zu hören: nun hat ein
Lastwagenfahrer die Ecke des Hauses des Pastors mitgenommen. Der Mann steigt
aus, entschuldigt sich kurz und fährt weiter. Als ich erzähle, dass in
Deutschland in solchen Fällen die Polizei gerufen wird, lacht Jeremiah und holt
ein Megafon aus dem nunmehr zerstörten Zimmer. Er richtet es auf die nächste
Straßenecke und sagt laut durch "Please, the Police, the Police, the
Police, somebody destroyed our room!"
Total lächerlich, hier wegen
so etwas die Polizei zu rufen. Nur um Einbrüche oder Morde kümmern sich die
Polizisten, die nicht einmal eine Notrufnummer haben. Statt dessen gibt es über
das gesamte Dorf verteilt kleine Polizeiwachen, damit wenigstens die Einbrecher
etwas Furcht bekommen. Vor allem vor ihnen fürchtet sich das Dorf. Vor unserem
Haus gibt es Wachhunde, im Garten brennt die ganze Nacht eine helle Laterne,
der Garten ist von einer mannshohen Mauer umgeben, an deren oberen Ende
Glassplitter eingearbeitet sind. Allerdings keineswegs ein
unüberwindbares Hindernis, denn sogar die Hühner können einfach darüber
fliegen.
gesicherte Gartenmauer |
Nein, der Staat hat hier
keine mit dem deutschen vergleichbare Rolle. Und wenn ich die seitenlangen
Informationsschreiben des Bundeswahlleiters zur kommenden Bundestagswahl lese,
erinnere ich mich zurück an mein Heimatland mit Motorradhelmpflicht, TÜV,
Schilderwald, Blitzampeln, überhaupt Verkehrsampeln, Bürokratie,
Steuererklärungen, Denkmalämter, Baurecht, Brandschutzverordnungen, Arbeitsrecht,
Steuern im zweistelligen Prozentbereich, Klassen mit nur bis zu fünfunddreißig
Schülern, billige Nahrung, Bibliotheken, in denen die Bücher alphabetisch
geordnet sich immer genau an der richtigen Stelle befinden, die guten alten
Notrufnummern, das Jugendamt, das eingreift wenn Kinder "verwahrlost"
sind, Arbeitslosengeld, Krankenversicherungspflicht und vieles mehr, was hier
absolut unnütz und lächerlich erscheint.
Zum
Schluss sollte noch erwähnt werden, dass Ghana durchaus eine Demokratie ist, weil
aber keiner in die Politiker vertraut, können diese nicht wirklich Macht
ausüben. Am Donnerstag, 29. August, musste sich zudem das Verfassungsgericht
mit Unregelmäßigkeiten bei der letzten Wahl beschäftigen. Wir haben uns trotz
Reisewarnungen nach Tamale getraut und eine menschenleere, aber - weil
bestens von Polizisten, einigen Scharfschützen und Militärfahrzeugen bewacht
- friedliche Stadt vorgefunden. Auch andererorts ist es dank enormer
Sicherheitsvorkehrungen friedlich geblieben. Ein Glück, dass viele wichtige
Bereiche, die in Deutschland der Staat abdeckt, hier von den Kirchen
abgedeckt werden. So wird zum Beispiel auch das "Waisenhaus", in
dem ich arbeite, kirchlich finanziert. Und ja, die zehn Gebote, die Sonntag
für Sonntag von den Pastoren gepriesen werden, gelten hier wirklich,
zumindest für die Christen.
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