Donnerstag, 5. September 2013

Eine etwas andere Ordnung



Eine etwas andere Ordnung

Beim Essen im Wohnzimmer des Pastors

Es ist alles ein bisschen anders geordnet hier in Nalerigu und zwar auf allen Ebenen. Ich will damit ausdrücklich nicht sagen, dass es mir hier nicht gefällt, oder dass es schlecht geordnet wäre. Ganz im Gegenteil, ich genieße die sehr entspannte, unverkrampfte, freiheitliche Lebensweise der Ghanaer. 
Schon im Wohnzimmer des Pastors ist uns gleich beim ersten Besuch das alte verstaubte Bücherregal, in dem die Bücher übereinandergeschichtet lagen, aufgefallen. Thomas und ich haben es, weil wir wirklich jeden Tag davor sitzen, etwas in Ordnung gebracht. 
von den Deutschen geordnetes Bücherregal

Als ich neulich in Tamale war, der Hauptstadt der "Northern Region", einer Stadt mit ungefähr einer halben Million Einwohner, ist mir die etwas andere Ordnung besonders aufgefallen. Es gibt anders als in Nalerigu kleine Supermärkte. Einer stellt uns sogar einen Kassenzettel aus, unten sind immerhin drei Prozent Mehrwertsteuer vermerkt. 

Das Zentrum der Stadt bildet nicht wie in Deutschland üblich eine Fußgängerzone. So etwas gibt es hier nicht, das Zentrum ist vielmehr die Hauptstraße. Auf ihr pendeln hunderte zerbeulte Taxen, es gibt kein richtiges Stadtbusnetz und natürlich auch keine Straßen- oder U-Bahn. Vor übermäßiger Konkurrenz fürchtet sich unser Taxifahrer allerdings auch nicht, und holt uns fast eine Stunde später ab als vereinbart. 


Auch der Bus mit der unaussprechbaren Endstation Bunkpurugu, der auch durch Nalerigu fährt, kommt regelmäßig viel zu spät. Zu unserem Glück hatte er, als wir gefahren sind, nur etwas mehr als eine Stunde Verspätung. Einer der anderen Passagiere des Busses hat sich dazu entschlossen, in Tamale Rohre einzukaufen. Das hat den ohnehin für meine Beine schon knapp bemessenen Raum zusätzlich über die Schmerzgrenze hinaus verkleinert. Nach vier Stunden erreichen wir das Zentrum von Nalerigu. Weil auch der schmale Mittelgang vollgestopft ist, schieben wir uns mehr oder weniger gewaltsam aus dem Bus. Draußen fällt uns auf, dass der Boden des Busses, den wir als Stauraum für unser Gepäck verwendet hatten, sehr heiß war. Das Fruchtfleisch einer von zwei in Tamale gekauften Ananas hatte sich bereits grün gefärbt. 


Zurück in Nalerigu: auch hier herrscht - neben einem sogenannten Häuptling, einem vom Ältestenrat dubios bestimmten reichen Moslem mit angeblich über zwanzig Frauen und  mehr als hundert Kindern - die Freiheit. Die Straßen werden, weil sie für Autos größtenteils untauglich sind, hauptsächlich von Motorradfahrern ohne Führerschein benutzt. Auch ich durfte mich schon versuchen, fürchte aber etwas um meine Gesundheit: denn es gibt keine Verkehrsregeln, außer grob Rechtsverkehr, und absolutes Fahrverbot vor dem Hof des "Häuptlings". Die Motorräder haben selten Rückspiegel, meist keine Blinker, aber fast alle eine Hupe. Diese ist auch darum ein sehr brauchbares Verständigungsmittel, weil fast keiner einen Helm und jeder deswegen die Ohren frei hat. 


Der Lastwagen, der der Familie des Pastors Holz aus der südlichen Regenwaldregion liefert, nimmt aus Versehen den Pfeiler eines mit Halmen gedeckten Unterstandes mit. Ein paar Tage später ist plötzlich ein lautes donnerndes Geräusch zu hören: nun hat ein Lastwagenfahrer die Ecke des Hauses des Pastors mitgenommen. Der Mann steigt aus, entschuldigt sich kurz und fährt weiter. Als ich erzähle, dass in Deutschland in solchen Fällen die Polizei gerufen wird, lacht Jeremiah und holt ein Megafon aus dem nunmehr zerstörten Zimmer. Er richtet es auf die nächste Straßenecke und sagt laut durch "Please, the Police, the Police, the Police, somebody destroyed our room!"


Total lächerlich, hier wegen so etwas die Polizei zu rufen. Nur um Einbrüche oder Morde kümmern sich die Polizisten, die nicht einmal eine Notrufnummer haben. Statt dessen gibt es über das gesamte Dorf verteilt kleine Polizeiwachen, damit wenigstens die Einbrecher etwas Furcht bekommen. Vor allem vor ihnen fürchtet sich das Dorf. Vor unserem
gesicherte Gartenmauer
Haus gibt es Wachhunde, im Garten brennt die ganze Nacht eine helle Laterne, der Garten ist von einer mannshohen Mauer umgeben, an deren oberen Ende Glassplitter eingearbeitet sind.  Allerdings keineswegs ein unüberwindbares Hindernis, denn sogar die Hühner können einfach darüber fliegen. 



Nein, der Staat hat hier keine mit dem deutschen vergleichbare Rolle. Und wenn ich die seitenlangen Informationsschreiben des Bundeswahlleiters zur kommenden Bundestagswahl lese, erinnere ich mich zurück an mein Heimatland mit Motorradhelmpflicht, TÜV, Schilderwald, Blitzampeln, überhaupt Verkehrsampeln, Bürokratie, Steuererklärungen, Denkmalämter, Baurecht, Brandschutzverordnungen, Arbeitsrecht, Steuern im zweistelligen Prozentbereich, Klassen mit nur bis zu fünfunddreißig Schülern, billige Nahrung, Bibliotheken, in denen die Bücher alphabetisch geordnet sich immer genau an der richtigen Stelle befinden, die guten alten Notrufnummern, das Jugendamt, das eingreift wenn Kinder "verwahrlost" sind, Arbeitslosengeld, Krankenversicherungspflicht und vieles mehr, was hier absolut unnütz und lächerlich erscheint. 



Zum Schluss sollte noch erwähnt werden, dass Ghana durchaus eine Demokratie ist, weil aber keiner in die Politiker vertraut, können diese nicht wirklich Macht ausüben. Am Donnerstag, 29. August, musste sich zudem das Verfassungsgericht mit Unregelmäßigkeiten bei der letzten Wahl beschäftigen. Wir haben uns trotz Reisewarnungen nach Tamale getraut und eine menschenleere, aber - weil bestens von Polizisten, einigen Scharfschützen und Militärfahrzeugen bewacht - friedliche Stadt vorgefunden. Auch andererorts ist es dank enormer Sicherheitsvorkehrungen friedlich geblieben. Ein Glück, dass viele wichtige Bereiche, die in Deutschland der Staat abdeckt, hier von den Kirchen abgedeckt werden. So wird zum Beispiel auch das "Waisenhaus", in dem ich arbeite, kirchlich finanziert. Und ja, die zehn Gebote, die Sonntag für Sonntag von den Pastoren gepriesen werden, gelten hier wirklich, zumindest für die Christen.